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Airin: Meine aktuelle Entwicklung

 

30. April 2003

Umwege erhöhen die Ortskenntnis ...


Wer bin ich in Wahrheit, wer bin ich hinter Erziehung, Prägungen, hinter vielleicht auch nur scheinbaren Sicherheiten und Gewohnheiten? Dieser Frage bin ich immer tiefer auf den Grund gegangen. Eine Identität fand sich, sofern sich die Frage nach einer solchen überhaupt noch stellte, gewiß nicht innerhalb der Geschlechterpolarität. Umso mehr beobachtete ich mit zunehmender Skepsis meine Bemühungen, für das eine Geschlecht, für das ich mich einmal mit aller Gewalt entschieden hatte, gehalten zu werden.

In diesen Bemühungen nach einer bestimmten Außenwirkung stand ich allzu oft meiner ursprünglichen Kraft und Authentizität im Weg. Die natürlicherweise männliche Stimme hatte ich in intensivem Training auf weiblich "getrimmt" - nicht ohne damit den freien Fluß meines Atems und ein entspanntes Gefühl zu meinem Körper zu stören. Die Wirkung der weiblichen Hormone empfand ich in Bezug auf Sexualität, Emotionen und Selbstwahrnehmung als weniger günstig; ganz auf sie verzichten konnte ich aus gesundheitlichen Gründen aber nicht. Ein stetes Fremdkörpergefühl auch mit den Silikonimplantaten in der Brust, das sich im Lauf der Jahre zum Nachteil veränderte. Sehr unzufrieden war ich vor allem mit meiner Sexualität. An Gelegenheiten und Begegnungen hatte es so wenig gemangelt wie an Interesse und einem gewissen Bedürfnis, doch waren die körperlichen, sexuellen Reaktionen sehr "eingeschlafen". Wohl kannte ich Möglichkeiten, die verbleibenden Energien so zu lenken, daß es mir damit nicht schlecht ging - doch im Alter von 42 Jahren war ich noch nicht bereit, mich von Sexualität in meinem Leben dauerhaft zu verabschieden.

Als Frau sah ich durchaus nicht schlecht aus. Ein rundes, weibliches Gesicht, ein großer, aber weicher Körper. Manche kannten mich jahrelang, sahen und empfanden mich als Frau und fragten sich kein einziges Mal, ob ich "wirklich" eine sei. Doch immer wieder machte ich die Erfahrung, daß man in mir spontan den Mann oder zumindest die männliche Vorgeschichte sah - eine Hürde, die mir in geschäftlichen Erstkontakten immer wieder neu begegnete. Auch die Menschen, mit denen ich gerne umgebe, weil sie Interesse daran haben, andere feiner wahrzunehmen und die sich von Äußerlichkeiten nicht täuschen lassen, die spürten meine männliche Seite sehr deutlich und hatten nicht selten das Gefühl, es mit einem weiblich aussehenden Mann zu tun zu haben.

Das Gefühl, aus der weiblichen Kraft heraus zu leben, hatte sich nie wirklich eingestellt. Die Zeit der Identifikation mit meiner weiblichen Seite war schon lange Vergangenheit. Je mehr ich sie losließ, desto mehr kam der biologische Ursprung wieder zum Tragen: Der (weiche) Mann, der ich trotz der intensiven Anstrengungen, mich von ihm zu lösen, auf einer tieferen Ebene immer noch war.

Warum sollte ich mich für ein Geschlecht entscheiden müssen? Konnte ich nicht ohne diese Definitionen leben? Die Unterschiede sind doch ohnehin nicht groß! Einfach aus mir selbst heraus zu leben sollte doch eine Möglichkeit sein, meinte ich. Und doch spielt das Geschlecht in jedem Kennenlernen mit anderen Menschen eine Rolle. Selbst jene, die sich lange Jahre kritisch mit Geschlechtern auseinandergesetzt haben, finden es schwierig, sich ohne geschlechtliche Orientierung auf einen Menschen zu beziehen.

Welche Möglichkeiten boten sich für mich? Ich war nicht mehr bereit, die Stimme zu verstellen. Sollte ich sie vielleicht operieren lassen? Nein, nach allem, was ich da gesehen und gehört habe, kam das für mich keinesfalls in Frage.

Wäre es nicht das Einfachste, Natürlichste, wieder in das hineinzusinken, was mein Körper bis in die Gene sowieso ist? War der Mann in mir wieder zu beleben? Lange habe ich daran gezweifelt, daß ich da zu einem zufriedenstellenden Ergebnis kommen könnte. Auch meine vielleicht allzu genauen Erinnerungen an die Zeit, in der ich keinen Frieden in der Entwicklung zum Mann gefunden hatte, nährten die Skepsis.

Doch seit dieser Zeit hatte sich vieles geändert: In jahrelanger, intensiver innerer Arbeit habe ich einen viel besseren Kontakt zu mir selbst gefunden. Meine Einstellung zum Dasein und zu mir als Mensch hat sich grundlegend geändert. Nun war die Aussicht, durch relativ kleine Änderungen eine entspanntere und natürlichere Form und vielleicht auch ein Sexualleben wieder zu finden, Anlaß genug, meinem Leben noch einmal einen neuen Impuls zu geben. Der Wechsel vom jungen Mann zur Frau war damals ein enormer Sprung gewesen, mit vielen Ängsten, Unsicherheiten und einer existentiellen Bedeutung. Diesmal nun ging es für mich um nicht viel mehr als um Äußerlichkeiten, die zumindest in meiner eigenen Wahrnehmung ohne größere Brüche und Anstrengungen einem über Jahre gelaufenen inneren Prozeß den Ausdruck geben sollten.

Mittlerweile sind die Veränderungen deutlich sichtbar geworden. Die männlichen Hormone, die ich seit einigen Monaten nehme, tun mir gut, geben mir mehr Energie und meine Hoffnung, daß sie das Sexualleben neu beleben könnten, wurde erfüllt. Kleidung, die ich mir als übergroße Frau nur mühselig zusammenstellen konnte, lassen sich nun mit Leichtigkeit in passender Männergröße besorgen: es fühlt sich sehr wohl nach einem Weg in einen einfacheren, natürlicheren Zustand an.

Beruflich bin ich ja zur Zeit in der Transsexuellen-Arbeit angestellt. Man sollte meinen, daß gerade hier Verständnis für diese Prozesse vorhanden sein sollte. Beim Träger der Stelle ist dieses Verständnis in vollem Umfang vorhanden und die KollegInnen unterstützen mich in einer Weise, die mich sehr positiv berührt. Leider habe ich aber gerade aus den Reihen der Transsexuellen negative Reaktionen bekommen, wie sie in einer erzkonservativen Firma nicht heftiger hätten sein können.

Mein sehr differenzierter Blick auf das Thema und dessen vielfältige Lösungsmöglichkeiten weicht in mancher Hinsicht vom Standard-Schema ab. Nicht wenige, die ich beraten habe, sehen dies als großen Vorteil an, da ich ohne persönliche Wertung dem jeweiligen Menschen unvoreingenommen Raum gebe, verschiedene Lösungen zeige und auch über Alternativen rede. In der politischen Arbeit kann ich verstehen, daß sich einige Mitbetroffene eher eine "Mainstream-Transsexuelle" gewünscht hätten, doch daß ich das nicht bin, hatte man in jedem Fall auch schon bei meiner Wahl gewußt.

Die Stelle hatte ich mit der starken Motivation angetreten, die Lage der Betroffenen zu verbessern. Das hat sich bis heute nicht geändert. Für mich selbst fand ich es außerdem interessant, beruflich mit Menschen zu arbeiten und in meinem Alltag eine Situation zu haben, in der ich mit meinen geschlechtlichen Anteilen freier umgehen kann. Die tägliche Auseinandersetzung mit dem Thema spiegelte mir dann sehr deutlich die Punkte, die für mich selbst zur Klärung anstanden. Die Entscheidung zum Zeitpunkt des Wechsels fiel schließlich, als es so aussah, als könnte ich die Stelle ohnehin nicht mehr lange halten.

Meine Veränderung bekommmt durch die Tätigkeit eine gewisse Öffentlichkeit, die als solche wirklich nicht beabsichtigt war. Ich meine aber, sie in dieser Position immer noch in bester Absicht vertreten zu können.


1. Juni 2003:

Vielleicht kann man es aus dem obigen Text nicht genau entnehmen, deshalb nochmal weniger mißverständlich: Meine Entscheidung, als Mann zu leben, ist für mich ganz klar und ich möchte auch als solcher angesprochen werden.

Da "Airin" auch ein Männername ist, behalte ich diesen bei - im Moment ist er ja einer meiner gesetzlichen Vornamen, später möchte ich ihn weiter als "Künstlernamen" führen. Er steht auch dafür, daß die innere Realität differenzierter und nicht mit "schwarz oder weiß" zu beschreiben ist.


8. Januar 2004

Nun bin ich nicht mehr beruflich in der Transsexuellen-Arbeit, bin zurückgekehrt in meine alte Selbständigkeit. Die verbliebenen Kunden haben die Änderungen positiv aufgenommen, Neukontakte entstehen unbelastet vom Gender-Thema: Keine Frage, hier hat sich die Entscheidung, als Mann aufzutreten, absolut gelohnt. Auch im Privatleben finde ich dies angenehmer und stimmiger, aber weniger wesentlich, da mich meine wirklichen Freunde auch schon bisher nicht über die Geschlechtlichkeit definiert haben.

Die hormonelle Umstellung hat mehr Energie und Kraft gebracht. Außerdem fordert sie immer wieder eine Auseinandersetzung mit der nun wieder erwachten Sexualität und den entsprechenden Fantasien. Da tauchen auch lange nicht mehr gesehene, "alte Bekannte" aus dem BDSM-Bereich wieder auf. Heute nehme ich sie als Hinweis, wo ich mich weiter in die Liebe zu mir selbst entwickeln kann. Damit verändern sie sich sehr schnell und lösen sich mit der Zeit auf. Die autogynäkophile, erotische Verliebtheit in meine weibliche Seite, die ich von früher kenne, ist mir allerdings nicht wieder begegnet. Weder emotional noch erotisch habe ich heute noch das Bedürfnis, mich in weibliche Äußerlichkeiten hineinzubegeben.

Das nehme ich als Bestätigung dafür, daß ich dieses Thema gründlich verarbeitet habe und meine weiblichen Anteile integriert sind. So erlaube ich mir natürlich auch weiterhin, die im Leben als Frau erworbene emotionale Kompetenz weiter zu pflegen - aber es ist ja auch schon lange Vergangenheit, daß ich die für etwas "spezifisch weibliches" gehalten habe.

Der Wechsel im Beruf heißt nun leider auch, daß ich Mitbetroffenen nicht mehr so viel Unterstützung geben kann wie bisher. Doch wer meinen Rat braucht, wird mich auch in Zukunft erreichen können.

Immerhin muß ich mich jetzt nicht mehr dem Mobbing der "organisierten" TS aussetzen und kann ohne beruflich verpaßten "Maulkorb" das tun und sagen, was ich persönlich für richtig halte.

 


21.12.2011

Das Leben hat in den letzten Jahren in unglaublicher Geschwindigkeit ein Kapitel nach dem nächsten geschrieben - da kam ich ja kaum noch mit.

Es war eine intensive Zeit. In meiner Selbständigkeit gab es große Rückschläge und Verluste, trotz derer ich mich mit enormem Kraftaufwand gerade noch über Wasser halten konnte. Als "Geschäftsmann" jedenfalls habe ich mich nicht wirklich bewährt und bin im Moment froh über eine Anstellung, die mir eine finanzielle Regelmäßigkeit bringt.

Die Beziehung mit einer Frau wurde zwar zu einer wunderbaren Freundschaft, aber die Erotik mochte sich für mich nicht so einstellen. In zwei weiteren, sehr liebevollen Begegnungen mit Frauen ging es mir nicht anders.

Im Freundes- und Bekanntenkreis bin ich geoutet, weil ich sonst vom größten Teil meines Lebens nichts erzählen könnte und kaum jemand verstehen würde, wer ich bin. Das gute alte Thema "umkreist" mich also weiterhin.

Die männlichen Hormone haben einen gewissen körperlichen Schwung und sexuelle Spannung gebracht. Die wurde dadurch aber nicht besser lebbar. Als sehr intensiv erlebte ich die Wirkung der Hormone auf meine Gefühlswelt. Ich fühlte mich teilweise sehr unter Druck und meine Selbstwahrnehmung war viel weniger deutlich. Das war sehr schwierig und führte dazu, daß ich die Hormone mit der Zeit immer weiter abgesetzt habe. Nun lebe ich schon etwa ein halbes Jahr ganz ohne Testosteron. Der Körper verweiblichte entsprechend, bis hin zu einem neuerlichen, deutlichen Brustansatz.

Bedarf, mich weiblich zu kleiden hatte ich unter Testosteron nicht, es waren andere sexuelle "Fieberträume", die dadurch wieder aktiviert wurden. Zudem entstand immer mehr ein Mißverhältnis zwischen dem zumindest im Genital weiblichen Körper und dem männlichen, energetischen Körperbild. Dieser neue Zwiespalt traf mich überraschend, denn mit dem "Operationsergebnis" war ich eigentlich immer sehr zufrieden gewesen.

Je mehr ich das Testosteron losgelassen habe, desto besser kam ich wieder mit meinem Körper in Harmonie, es wuchs aber auch das Bedürfnis, meine weiblichen, gefühlvoll-femininen Seiten nach außen zu zeigen. Trotz einigen inneren Protests dagegen nahmen die weiblichen Anteile in den letzten Jahren doch immer mehr Raum ein, bis die Frage im Raum stand, ob nicht wiederum ein Wechsel die ehrlichere Alternative wäre. Diese Frage wurde seitdem immer lauter und deutlicher.

Welcher meiner Persönlichkeitsanteil ist denn nun der stärkere, lebendigere, kraftvollere? Den inneren Mann habe ich seinerzeit mit so viel Anstrengung "herausdesinfiziert", daß es mir seither nicht mehr gelungen ist, ihn in seinem vollen Potential zu entwickeln. Die innere Frau ist der lebendigere, positivere Anteil geblieben, der mir heute mehr innere Ressourcen zu tragen scheint.

Eine weitere Veränderung kam überraschend. Ich hatte mich lange Zeit vorwiegend auf Frauen bezogen und rechnete damit, daß ich als Mann vielleicht sogar noch eine Frau heiraten würde. Nun konnte ich durch die Akzeptanz und Beschäftigung mit meiner eigenen Männlichkeit meine frühere Ablehnung gegen das männliche Genital bei mir selbst und anderen loslassen und staunte nicht schlecht, als ich mich eines Tages von einem Mann sehr deutlich körperlich angezogen fühlte. Da wartet ein neues Erfahrungsfeld darauf, entdeckt zu werden.

So waren die letzten Jahre voller Überraschungen, die für mich Schritt für Schritt wieder zu einem ganz neuen Umgang mit der Materie führten. Ich habe zwar viele moderne Therapieformen gelernt und mich von ihrer Wirksamkeit an mir selbst und in der Arbeit mit anderen überzeugen können. Die Frage aber, die mich schon so lange beschäftigt, ob ich als junger Mensch einen anderen Weg für mich hätte finden können, konnte ich aufgrund all dieser Erfahrungen für mich selbst immer noch nicht abschließend beantworten. Einige Betroffene konnte ich damit zwar schon auf einen anderen Lösungsweg "lotsen", aber bei mir selbst reagiert der Körper nach all den Veränderungen natürlich ganz anders, Ob ich es damals ganz ohne hormonelle Eingriffe hätte schaffen können, möchte ich heute eher bezweifeln. Wenn ich allerdings gewußt hätte, was die Genitaloperation mit meiner Sexualität, meiner Lust und meinen Beziehungen anrichtet und was man andererseits mit moderner Körpertherapie erreichen kann, hätte ich mir die OP allerding aller Wahrscheinlichkeit nach ersparen können.